Loyalität in der Familie – Wie loyal denn noch?
Per Geburt trittst du in deine Familie ein. Besser gesagt, du wirst in die Geschichten deiner Vorfahren hineingeboren. Dann gibt es kein Zurück. Und fortan wirkt familiäre Loyalität! Die Loyalität gegenüber der eigenen Familie ist ein Vertrag besonderer Art: Er ist einfach da, er braucht nicht ausgehandelt zu werden und bedarf keiner Schriftform. Dafür ist die Verbindlichkeit umso tiefer. Loyalität in der Familie, wie loyal denn noch?
Vielleicht denkst du, dass sich Loyalität in der Familie nur dann zeigt, wenn du etwas bekommen hast. Nein, sie zeigt sich auch dort, wo Eltern ihren Kindern „nur“ das Leben geschenkt haben.
So erging es Helga. Schon als kleines Kind fühlte sie sich von ihrer Mutter abgelehnt. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte, sie bekam einfach keine Anerkennung. So sehr sie auch darunter litt, zeigte sie sich dennoch auf eine für Außenstehende nicht nachvollziehbare Art ihrer Mutter gegenüber loyal.
Die Treue ist immens
Im Idealfall gründet Loyalität auf Liebe, gegenseitiger Verlässlichkeit und gegenseitiger Unterstützung. Das hat meine Kundin Katharina sehr schön und anschaulich beschrieben.
„Ich habe ein wirklich gutes Verhältnis zu meiner Mutter. Sie ist für mich da, wenn ich sie brauche, aber sie drängt sich nicht auf. Sie akzeptiert meine Entscheidungen, auch wenn sie ein paar Mal schon gesagt hat, dass sie das eine oder andere nicht so machen würde. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich so sein kann, wie ich möchte, bzw. so sein kann, wie ich nun einmal bin. Manchmal glaube ich, dass ich für mein bloßes Sein schon Anerkennung bekomme.“
Umso mehr mag es erstaunen, wenn die Treue gegenüber der Familie auch in scheinbar schwierigen familiären Konstellationen gelebt wird. Der Kontakt kann oberflächlich, abgebrochen oder konfliktreich sein, es kann ein feindseliges Verhältnis vorherrschen – dennoch: auch diese Kinder erfüllen ihre Aufträge.
Klare Gesetzmäßigkeiten in jeder Familie
In jeder Familie herrschen ganz klare Gesetzmäßigkeiten. Dabei ist es völlig egal, ob die einzelnen Familienmitglieder das bewusst spüren oder wissen. Und es spielt auch keine Rolle, inwieweit dies nach außen hin sichtbar ist. Die Kinder innerhalb einer Familie tragen genau diese Energien mit. Es gibt also sogenannte Ordnungen. Auf der einen Seite sind diese Ordnungen Ursache von Unglück. Auf der anderen Seite – und das ist die schöne Nachricht – sind sie eine Quelle von Kraft und innerem Frieden, wenn sie gesehen und geachtet werden.
Michael berichtet:
„Mein Vater brauchte nichts zu sagen, wenn er nach Hause kam, ich wusste sofort, wie seine Laune war. Wie so oft, unerträglich. Es stand unausgesprochen im Raum, dass wir Kinder still zu sein hatten. Der Blick in seinen Augen verriet es immer wieder: Wagt es bloß nicht, mich anzusprechen. Es gab einfach keine Möglichkeit zu ihm durchzudringen. Obwohl meine Vater anwesend war, war er trotzdem nicht da.“
Untrennbare Bindungen
Biologisches Faktum reicht aus, dass Bindung entsteht und besteht. Das heißt, wir sind unweigerlich mit allen Familienmitgliedern (und auch mit den Vorfahren) verbunden. Ob wir das nun wollen oder nicht. Diese Bindungen innerhalb der Familie sind und bleiben untrennbar. Deine Mutter wird immer deine Mutter bleiben, dein Bruder wird immer dein Bruder bleiben ect. . Auch wenn wir das Band selten oder gar nicht spüren, so existiert es dennoch! Und diese Bindungen bestimmen unser Leben mehr als wir es uns denken können. Wahrscheinlich kennst du auch eine Person, die sich von ihrer Familie losgesagt hat, die nichts mehr mit Mutter, Vater oder Geschwister zu tun haben will. Und dennoch gehört diese Person weiterhin zur Familie und „trägt“ mit. Nämlich die Verbindung zur eigenen Familie: Die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten reichen weit über das hinaus, was gemeinhin bewusst ist.
Die Bindung an die Familie wird auch sichtbar, wenn jemand an einem anderen Ort aufgewachsen ist und die Eltern kaum erlebt hat
Denn wie auch immer die „Grundstruktur“ unserer Familien gestaltet ist, wir fühlen uns mit ihr verbunden. Diese Bindung wird von dem Kind als Glück, als Liebe erfahren, unabhängig davon, wie oder ob das Kind sich entfalten kann. Es kann als Urliebe verstanden werden. Kinder sind ihren Eltern treu. Sie wagen es selten, ein glücklicheres und erfüllteres Leben zu führen als ihre Eltern. Unter Umständen empfindet es ein Kind als Verrat, wenn es ihm dauerhaft besser ginge als den Eltern.
Lieber ich als du
Kinder lieben ihre Eltern bedingungslos. Ein Leben lang bleiben sie mit ihnen verbunden. Dieses Band ist unabhängig vom tatsächlichen Kontakt. Oftmals zeigt sich eine Dynamik, die zunächst verblüfft. Die Seele verirrt sich nämlich in magischen Gedanken. Denn sie meint, dass sie ein Elternteil (oder auch ein anderes Familienmitglied) retten kann. Und dazu müsse sie „lediglich“ dessen Leid und Schicksal übernehmen. Aus Liebe entwickelt die Seele eine Haltung, die ihr unter Umständen ein vermeintlich unglückliches Leben beschert: Lieber ich als du – gerne trage ich dein Schicksal, gerne trage ich deine Last. Schau‘ her, das mach’ ich aus Liebe zu dir.
In den vielen Aufstellungen, die ich bislang leiten durfte, zeigt sich immer wieder oben beschriebene Dynamik. Wenn wir in einer Aufstellung herausgearbeitet haben, welche Last ein Kunde übernommen hat und wenn er diese Last spürbar wahrnimmt und benennen kann, höre ich in 90% der Fälle: Das kann ich doch nicht zurückgeben, das ist viel zu schwer für mein (e) Vater/Mutter.
Das heimliche Glück
Die Verbindung zur eigenen Familie zeigt sich ganz subtil in einer tiefen inneren Zufriedenheit. Du wirst es an dem leisen Lächeln erkennen, wenn jemand von seinem „Unglück“ erzählt. Gut gemeinte Worte, Ratschläge und Tipps stören dieses heimliche Glück.
Unser Gewissen
Mit unserem Gewissen reagieren wir auf alles, was die Bindung fördert. Wir haben ein gutes Gewissen, wenn unser Verhalten der Gruppenzugehörigkeit dienlich ist. Oder ein schlechtes Gewissen, wenn wir uns so verhalten, dass wir uns von der Gruppe absetzen. Für das Kind (und auch für Erwachsene) wäre es das Allerschlimmste, wenn es nicht mehr „dazu“ gehören dürfte. Deshalb tut es alles, um dazuzugehören. Und es kennt sehr wohl die Regeln und Gesetzmäßigkeiten. Es weiß unausgesprochen, was es tun oder lassen muss, um seine Zugehörigkeit aufrecht zu halten.
Klara eckte immer wieder an
Klara, die in ihrer Kindheit sehr oft bei ihrer Großmutter war, eckte in ihrem Erwachsenen-Dasein immer wieder an. Sie konnte sich den Grund dafür nicht erklären. In der Aufstellung bestätigt sich, dass ihre Großmutter viel über andere Menschen gesprochen hatte, um nicht zu sagen, hergezogen hatte. Im direkten Kontakt mit den Menschen aber war ihre Großmutter höflich und freundlich. Fast schon übertrieben gastfreundschaftlich. Klara erinnert sich, dass sie von diesem Verhalten sehr irritiert war. „Die Erna ist faul und will sich ja nur bei anderen zum Kaffee trinken einladen“ Und kaum, dass sie bei der Oma war, wurde sie fürstlich bedient. Bei Klara entwickelten sich Verhaltensprobleme im Umgang mit Menschen.
Wie Doppelbotschaften auf Kinder wirken
Denn die Doppelbotschaft ihrer Großmutter „nach außen hin freundlich tun und gut dastehen und nach innen hin schlecht über Menschen reden“ wurde von der ganzen Familie mitgetragen. Viele Familienmitglieder nahmen das unkommentiert hin, andere ahmten es sogar nach. Klara wusste phasenweise gar nicht, wie sie sich überhaupt verhalten sollte. In der Aufstellung konnte sie für sich klären, dass sie ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legte, wie ihre Großmutter. Sie hatte es übernommen. Und in der Tat, wird ihr in der Aufstellung klar, dass sie ein gutes Gewissen hatte, als sie dieser Energie folgte. In dem Umfeld, in dem sie sich heutzutage befindet, kommt so ein Verhalten aber überhaupt nicht gut an. Viele finden es sehr unangenehm. Das konnte Klara dank einer Aufstellung klären.
Oftmals ist Loyalität unbewusst, ungesund oder wird zu starr und stur eingefordert. Die Bindung erfolgt dann über Angst oder Schuldgefühle. Für den einzelnen kommt es einem Kraftakt gleich, sich aus der Familie zu lösen. Für manche ist die Loslösung aus der Familie eine schwere Lebensaufgabe. Manche schaffen es gar nicht.
Oberstes Gebot: Nur unsere Familie zählt
Es gibt Familien, in denen familiäre Nähe und Einigkeit oberstes Gebot sind. Alle sollen das Gleiche denken und fühlen. Die Nachkommen sollen idealerweise nur „folgen“. Sie sollen sich keine eigene Meinung bilden oder ihr Leben selbstständig gestalten. Sicherlich kannst du dir gut vorstellen, was das für die Partnersuche bedeutet. Andere Familien geben ausreichend Raum für neue Ideen, individuelle Bedürfnisse oder andere Gestaltungsmöglichkeiten. Hier können und wollen sich Familienmitglieder auf eine neue Situation einstellen. Und sie tun es auch.
Die Lösung – auch Glück und Wohlergehen brauchen eine Entscheidung
Wie sieht eine Lösung aus? Vor allem bei einem festgefahrenen, starren familiären Gerüst? Die Lösung verlangt nach Kraft, nach Klarheit und sie verlangt nach Mut. Sie fordert Aufbruch und sie fordert in die Handlung kommen. Vor allem aber braucht es vorab deine Entscheidung: Möchtest du wissen, was dich lenkt, was dich bindet und was dich geprägt hat? Bist du bereit, dich mit deiner eigenen Familiengeschichte intensiv auseinanderzusetzen? Willst du die Chance ergreifen, deine Stärken und Verletzlichkeiten wahrzunehmen?
Anerkennen, was ist
Indem du anerkennst „was ist“, kannst du übernommene Gefühle zurückgeben. Dorthin, wo sie entstanden sind. Wenn du das Schicksal deiner Vorfahren (oder anderer Familienmitglieder) achtest und respektvoll damit umgehst, trägst du dazu bei, eine gesunde Ordnung herzustellen. Eine gesunde Ordnung heißt, dass alle Familienmitglieder wahrgenommen und gewürdigt werden. Jedes Familienmitglied kann seinen Platz einnehmen. Den Platz, der für ihn vorgesehen ist. Geben und Nehmen im System wird ausgeglichen. Danach fühlt es sich richtig an, eine Last geht von den Schultern. Möchtest du auch deinen richtigen Platz im Leben einnehmen, dann kontaktiere mich zu einem persönlichen Kennenlern-Gespräch.