Kriegskinder, Kriegsenkel und Ahnenaufstellungen

Kriegskinder, Kriegsenkel und Ahnenaufstellungen

Über Jahrzehnte wurde weder in der Öffentlichkeit noch in den Familien darüber gesprochen, welches Leid den sogenannten Kriegskindern widerfahren ist. Kriegskinder sind all diejenigen, die den Krieg als Kind miterlebt haben. Sei es als Säugling, Kleinkind oder als Jugendlicher. Das Schweigen der Kriegskinder belastet nicht nur sie selbst, sondern auch nachfolgende Generationen, die Kriegsenkel. So erging es auch meinem Klienten, den ich hier Hans nennen mag. 

“Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, dass es etwas in unserer Familie gibt, über das nicht gesprochen wurde. Wir wussten zwar, dass unsere Mutter nach dem zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen musste. Denn sie und mein Vater gingen regelmäßig zu den Heimattreffen. Aber wo genau das war und was genau geschehen ist, darüber hat sie sehr lange nicht gesprochen.”

Oftmals werden Kriegsenkel von einem nebulösen und diffusen Gefühl begleitet. Und sie können sich nicht erklären, was das überhaupt ist.

Wie ein schwarzes Loch, ein dunkles Geheimnis, um das wir alle ständig herumeierten. Das hat mich extrem viel Kraft und Energie gekostet.”

Krieg hinterlässt Spuren in der Seele eines Kindes

Krieg, Flucht, Vertreibung, Gewalt, Angst, Verfolgung, Verlust von Familienangehörigen, Verlust der Heimat. All das hinterlässt Spuren in der Seele eines Kindes. Wie sollten die Kinder damit umgehen? Sie wuchsen in einer Welt ohne Vertrauen auf. Wenn Kinder in einer extrem schwierigen Situation sind, brauchen sie vor allem eines: stabile, verständnisvolle, starke Erwachsene, die auf die persönlichen Bedürfnisse und Ängste eingehen. Das konnten viele Eltern in den Kriegswirren nicht bieten.

Somit sind die Ängste und der Schmerz der Kriegskinder auf ihre Kinder übergegangen. Und genau das hat Hans all die Jahre gespürt, ohne es konkret benennen zu können. Er schildert, dass in seiner Familie zwar gesprochen wurde, aber eben nicht über persönliche Dinge. Oder darüber, wie der einzelne sich fühlt.

„Wie saßen oft am Küchentisch und es wurde viel Belangloses gesprochen; oder darüber, was andere so machen und tun“.

Sprachlosigkeit und Bindungsunfähigkeit in nachfolgenden Generationen

Die Nachkommen der Kriegskinder, nämlich die Kriegsenkel, haben eine schwere Bürde auferlegt bekommen. Eine Bürde, die für sie und das Umfeld oftmals gar nicht erklärbar ist. Sie mündet in Sprachlosigkeit, Bindungsunfähigkeit, fehlendes Einfühlungsvermögen, extremes Sicherheitsbedürfnis, Leistungsbereitschaft zum Teil bis zum Burnout.

Du musst arbeiten! Die Arbeit stand in meiner Familie im Vordergrund. Auch andere wurden danach beurteilt: Was schafft der denn? Obwohl ich erfolgreich in meinem Job bin, fehlte mir über Jahre das Gefühl wirklich glücklich zu sein.”

Der Auftrag, den Kriegskinder ihren Kindern unmissverständlich erteilt haben, lautet: Sei still, darüber redet man nicht. Sei froh, dass du lebst, schau’ nach vorne. Oder mit anderen Worten: Bau etwas auf und leiste etwas! Es ist eine Aufforderung zu vergessen und wegzuschauen.

Flucht in die Arbeit

Die Kriegskinder hatten die Aufgabe das Land wieder aufzubauen, was zweifelsohne dabei half, sich von den grausamen Erinnerungen aus der Kriegszeit zu distanzieren. Die schrecklichen Erfahrungen und Traumata wurden im Inneren verschlossen. Jetzt waren Leistung und Fleiß angesagt.

Das materielle Sicherheitsbedürfnis war mehr als befriedigt.

„So war es auch bei uns, wir waren materielle versorgt. Aber es blieb immer ein komisches Gefühl. Ich konnte es ja selbst gar nicht benennen. Es war ein Gefühl von Hier stimmt irgendwas nicht. Meine Mutter hatte auch gar kein Verständnis dafür, wenn ich mal sagte, dass es es mir nicht gut ging. Geh zum Doktor war der einzige Ratschlag. Heute weiß ich, dass meine Seele belastet war und zum Teil immer noch ist, von den Erfahrungen, die meine Mutter gemacht hatte, als sie ihre Heimat verlassen musste“.

Ein Gefühl der Normalität

Für die Kriegskinder waren die schlimmen Eindrücke und Kriegserfahrungen normal. Es betraf jeden. Fast jede Familie hatte einen Verlust zu beklagen. Und so hört man von Kriegskindern Aussagen wie „Es war für uns normal“ oder „Andere haben es schlimmer gehabt“. So oder ähnlich waren die Antworten auf Fragen, die den Krieg betrafen. Über die Kriegsfolgen hingegen wurde geschwiegen. Um mit den schlimmen Erfahrungen des Krieges umzugehen, haben die Kriegskinder den Schmerz und die Angst tief im Inneren vergraben. Der emotionale Zugang zu den Erfahrungen war somit versperrt. Sie trugen fortan zwei parallel existierende Einstellungen in sich, die sich im Grunde gegenseitig ausschließen: Auf der einen Seite machten sie grausame Erfahrungen. Auf der anderen Seite trugen sie das Gefühl in sich, nicht wirklich Schlimmes erlebt zu haben, dass es normal sei.

Auswirkung der unverarbeiteten Vergangenheit der Kriegskinder auf nachfolgende Generationen

Die Kriegsenkel erleben, dass es irgendetwas aus ihrer Kindheit gibt, das ihnen das Leben schwer macht. Sie können es nicht genau benennen. Und spüren zuweilen nur die Auswirkungen. Oftmals fühlen sie sich fremd gegenüber ihren eigenen Bedürfnissen. Es scheint so, dass sie nicht wirklich im Leben angekommen sind. Sie merken, dass die „Lebensenergie“ nicht so ist, wie sie sein soll. Und das Gefühl „Ich bin echt glücklich“ bleibt aus. Obwohl es ihnen materiell gut geht. Von ihren Eltern erfahren sie wenig Trost und Zuwendung.

Was haben die denn, ihnen geht es doch gut

Unbewusst vergleichen die Eltern (die Kriegskinder) die Situation ihrer Kinder mit der eigenen. Unweigerlich kommen sie zu dem Schluss, dass es ihnen selbst doch viel schlechter gehen müsste, bei dem, was sie alles erlebt haben.

Was hast du denn? Dir geht geht es doch gut. Was stellst du dich denn so an – mehr als einmal habe ich das zu Hause gehört“.

Fernab von der Idee, dass eine transgenerationale Weitergabe von Ängsten, Schmerzen und Traumata stattgefunden haben könnte. Der Weg zu den eigenen schmerzlichen Erfahrungen aus der Kriegszeit ist versperrt. Folglich fällt es diesen Eltern schwer adäquat auf die Gefühlssituation ihrer Kinder einzugehen.

Mit der Auseinandersetzung der eigenen Geschichte inneren Frieden schließen

Oftmals beschäftigen sich Kriegskinder erst im Alter mit der eigenen Geschichte. Sie spüren, dass sie sich damit auseinandersetzen müssen. Vielleicht damit sie ihren eigenen inneren Frieden für sich finden können. Meistens findet dann eine Annäherung zwischen den Generation statt. Es ist eine wunderbare Chance, das Verhältnis zwischen den Generationen zu verbessern, weil sie endlich miteinander sprechen.

Kriegskinder, Kriegsenkel und Ahnenaufstellungen

Wer will sich denn schon mit einem dunklen Kapitel der Vergangenheit auseinandersetzen. Vor allem innerhalb der Familie. Die meisten Kriegsenkel fangen an, sich mit ihrer Familiengeschichte auseinanderzusetzen, wenn sie sich in ihrer Lebensmitte befinden. Wenn es nicht mehr geht und sie an einem Punkt angelangt sind, wo sie nicht mehr können.

So wie bei Hans. Seine Ehe ist auseinandergebrochen, sein Sohn ist süchtig. Er wollte endlich für sich verstehen, warum in seiner Familie so viel schiefgegangen ist. Nachdem er anfing, sich mit seiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen, wurde ihm klar, dass er den nicht bearbeiteten Heimatverlust seiner Mutter übernommen hatte.

Zudem erkannte er, dass es einen Grund gab, warum seine Mutter so wenig Emotionen zeigte: Sie hatte die schlimmen Erlebnisse und Erfahrungen ihrer Flucht „innerlich weggepackt“. Somit hatte sie den Zugang zu ihrer Gefühlswelt versperrt. In der Folge war sie emotional wenig mit sich selbst in Verbindung. Und konnte auch nicht wahrnehmen, wie sich ihre Kinder wirklich fühlten.

Bei Hans führte dies dazu, dass er das Gefühl hatte, nicht wirklich im Leben angekommen zu sein, es fehlte ihm an Lebensenergie. Außerdem war er mit dem Fluchtthema seiner Mutter extrem verstrickt.

Aus diesem Grunde konnte er nicht wirklich präsent in seiner eigenen Familie sein: Er konnte den Platz als Ehemann nicht einnehmen. Und auch den Platz als Vater nicht. Da er noch negativ im Energiefeld seiner Mutter angebunden war, war es ihm nicht möglich seinen Sohn zu „sehen“. Wahrzunehmen, wie es ihm wirklich geht und was er wirklich braucht. Das heißt, die Verbindungen untereinander in der Familie, die Hans gegründet hat, waren extrem geschwächt.

Mithilfe von  Familienaufstellungen und  einer Ahnenaufstellung konnte Hans mehr Klarheit für sich und seine Lebenssituation gewinnen. Er konnte vieles auflösen, und in der Folge ein ganz anderes Verständnis aufbauen. Vor allem gelang es ihm, den Kontakt zu seinem Sohn zu verbessern. 

Wenn du dich über eine Aufstellung informieren möchtest, kannst du gerne ein Kennenlern-Gespräch mit mir vereinbaren.

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